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CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 56. Jahrgang, Heft 09/2005

305

AUFSÄTZE

storganisation und Musterbildung von Zellstrukturen

erinnern [10] .

Die Schülerinnen und Schüler werden spielerisch er-

muntert, darüber nachzudenken, wie chemisch-physi-

kalische Grundprinzipien (Entropiemaximierung in der

Umgebung und lokale Musterbildung im System) auf

zentrale lebensbestimmende Funktionen (Organisation

und Ordnungsgrad lebender Systeme) Einfluss nehmen,

und wie feinsinnig und staunenswert die Naturordnung

beschaffen ist.

Wahrheit

Der echte Forscher will im Faust’schen Sinne wissen,

was die Welt im Innersten zusammen hält. Sein Durst

nach Wahrheit ist unstillbar. Verlassen wir die Poesie

und fragen, was uns der Chemieunterricht vielleicht

über die „Wahrheit“ lehren kann.

Wenn die Schüler gelernt haben, dass Calcium- mit

Oxalationen schwerlösliches Calciumoxalat ergeben,

sollte man ihnen zwei Proben aushändigen und sie

bitten zu prüfen, welche davon Calciumionen ent-

halte. Probe A: CaCl

2

-Lösung, Probe B: CaCl

2

-Lösung,

der überschüssige EDTA-Lösung zugesetzt wurde. Die

Schüler tropfen zu jeder Probe Kaliumoxalat-Lösung

und beobachten nur bei der ersten Probe die Bildung

eines weißen Niederschlages. Dann schreiben sie in ihr

Protokollheft: „Probe A enthält Calcium-Ionen, Probe

B nicht.“ Der zweite Teil der Aussage ist falsch. Doch

so, wie die Schüler analysiert haben, konnten sie die

Wahrheit nämlich nicht erkennen, denn die durch den

sechszähnigen Chelatliganden Ethylendiamintetraacetat

komplexierten Calciumionen werden von Oxalationen

nicht angegriffen, und eine Niederschlagsbildung bleibt

dementsprechend aus. Die Schüler sind verblüfft, dass

sie sich getäuscht habe.

Ebenso interessant ist in einer Weiterführung die

Umkehrung dieses Gedankens: denn auch eine wahr-

heitsgetreue Formulierung kann richtig und trotzdem

nutzlos sein. Die Schülerinnen und Schüler müssen

lernen, im Blick auf naturwissenschaftliche Aussagen

zwischen Wert und Wahrheit von Aussagen zu unter-

scheiden. Lässt man die Jugendlichen z. B. die Grup-

penreaktionen der Halogenide in Schülerexperimenten

erforschen, so können einige wahre Aussagen durch

den Lehrer zur Hilfestellung formuliert werden. Die

Schülerinnen und Schüler bekommen nun den Auftrag,

diese bezüglich ihres Wahrheitsgehalts experimentell

zu überprüfen („Aus ammoniakalischer Lösung fällt

kein Silberchlorid aus.“) oder andere tatsächlich wahre

Formulierungen bzgl. Ihres Wertes zur Deutung der Ex-

perimente zu hinterfragen („Silber ist ein chemisches

Element und steht im Periodensystem der Elemente.“)

Vielleicht können Schülerinnen und Schüler auf diese

experimentell eröffnete Weise auch kritischer gegenü-

ber den vielen Aussagen werden, die sie im täglichen

Leben machen, hören oder lesen. Wie steht es da mit

Wert und Wahrheit gerade bei modernen populisti-

sche

n Formulierun

gen, die allzu gerne in den Medien

kom

muniziert werden?

Trivial, aber wertvoll

In diesem Artikel sollte es nicht versäumt werden, eini-

ge triviale Vorzüge von experimentellen Schülerübun-

gen zu betonen. Wer experimentiert, muss gewissenhaft

sein, sauber arbeiten und Ordnung halten. Meistens

wer

den

Schülerversuche in Kleingruppen durchgeführt,

in denen jeder koop

erieren und sogar Teamgeist entwi-

ckeln muss. Neben dem Lernen von chemischen Prinzi-

pien und Reaktionsgleichungen erfolgt also das Lernen

einiger Kardinaltugenden. Kopfnoten für das Zeugnis

können bei chemischen Schülerversuchen bestens er-

mittelt werden!

Danksagung

Herz

licher Dank gebührt Prof. Helmut Gebelein, Did

ak-

tik der Chemie der Universität Gießen, für sein großes

Interesse an der vorliegenden Arbeit und seine Unter-

stützung.

Literatur

[1] H.-L. Krauß, Dissertation, Universität Gießen, in Vorberei-

tung

[2] V. Wiskamp, M. Holfeld, H.-L. Krauß, W. Proske, Chemie im

Rahmen von religions- und sozialpädagogischen Kinder- und

Jugendprogrammen, PdN-ChiS 54 (2005), Heft 1, S. 25-30

[3] V. Wiskamp, H.-L- Krauß, S. Müller-Langsdorf, Naturwissen-

schaftliches Experimentieren und Religionspädagogik in Kin-

dertagesstätten, Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (TPS),

im Druck

[4] P. Levi, Das Periodische System, Deutscher Taschenbuch Ver-

lag GmbH & Co. KG, 4. Aufl. München 1999, S. 66

[5]

http://www.algordanza.ch/Pages_Deutsch/Algordanza.htm

[6] M. Ducci, M. Oetken, Die Erregungsleitung am Nerven in

elektrochemischen Modellexperimenten, MNU 52/1 (1999),

S. 28-33

[7] V. Wiskamp, Naturwissenschaftliches Experimentieren – nicht

erst ab Klasse 7, 2. Aufl., Shaker Verlag, Aachen, 2005, Kapitel

4.9, S. 41-44

[8] V. Wiskamp, Schüleraufsätze zum Thema „Chemie – Fluch

oder Segen der Menschheit“, Chemie und Biologie ( c + b )

2000, Heft 2 & 3;

http://www.swisseduc.ch/chemie/c+b/23_ 00/

[9] D. Freeß, Naturphänomene wahrnehmen und deuten – Äs-

thetisches Lernen, Grundlagen der Schulpädagogik, Band 44,

Schneider Verlag Hohengeren, 2002

[10] H. Kunz, Prinzipien der Selbstorganisation – Untersuchungen

zu strukturbildenden Prozessen und Entwicklung einer expe-

rimentellen Konzeption zur Einbindung dieser Thematik in ei-

nen zeitgemäßen Chemieunterricht (2001);

http://docserver. bis.uni-oldenburg.de/publikationen/dissertation/2001/kun- pri01/inhalt.html