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CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 56. Jahrgang, Heft 09/2005

Die Vermittlung von Werten erfolgt in der Schule haupt-

sächlich im Religions-, Ethik- und Philosophieunterricht.

Doch auch im Fach Chemie lassen sich Denkanstöße

entwickeln, die Wertefragen aufwerfen und Wertebewusst-

sein bei den Schülern erzeugen können. Dafür zeigt dieser

Artikel einige Beispiele (vgl. [1-3]).

Faszination der Zuverlässigkeit

Man stelle ein Glas über eine brennende Kerze, und

das Licht geht bald aus. Schon ganz junge Menschen

können das Experiment durchführen, immer wieder mit

dem gleichen Erfolg. Verblüffend ist die Zuverlässigkeit

des naturwissenschaftlichen Phänomens. Ist Zuverläs-

sigkeit nicht auch im menschlichen Leben erstrebens-

wert?

Diese sehr selbstverständliche Grunderfahrung be-

züglich der Zuverlässigkeit der Naturgesetze lässt sich

auch älteren Schülerinnen und Schülern in einem für

sie nicht naheliegenden Experiment vermitteln; ent-

sprechend den Forderungen des hessischen Lehrplans

für den Chemieunterricht an Gymnasien soll in Jahr-

gangsstufe 9 das „Gesetz der konstanten Proportionen“

vermittelt werden. Lässt man identische Mengen Blei

oder Kupfer mit jeweils variierenden Mengen Schwe-

fel vollständig zur Reaktion kommen, so werden die

Jugendlichen verblüfft feststellen, dass unabhängig von

den eingesetzten Massen jeweils konstante, „verlässli-

che“ Verhältnisse im Endprodukt auftreten. Gäbe es

dieses Gesetz nicht, und würde sich die Zusammen-

setzung von Verbindungen nach den eingesetzten

Massen richten, so wäre die Welt um uns herum nicht

beschreibbar und Leben könnte nicht existieren.

Einzigartigkeit

Jedes Salz kristallisiert in seiner charakteristischen

Kristallform, die durch eine Elementarzelle beschrie-

ben werden kann. Trotzdem gleicht kein Pyritkristall

dem anderen, kein Bergkristall seinem Nachbarn. Jedes

Mineral und Gestein ist einzigartig, ein Unikat, geschaf-

fen von dem Künstler Natur. Eine Mineraliensammlung

finden die meisten Schüler einfach schön. Und sie stau-

nen noch mehr, wenn ihnen bewusst wird, dass jedes

Material eine besondere Begabung hat. Aus Kalkstein

beispielsweise wird beim Erhitzen Kohlenstoffdioxid

ausgetrieben und gebrannter Kalk für die Bauindustrie

bleibt zurück. Aus Naturgips kann man das Kristallwas-

ser thermisch austreiben und erhält ein Material, das

z. B. für einen Gipsverband nützlich sein kann. Aus

Borax lässt sich Glas schmelzen, und Schwefel kann

über seine rasch abgekühlte Schmelze Gummieigen-

schaft erlangen. Wie ist es dazu im Vergleich mit uns

Menschen? Ist nicht auch jeder von uns ein einzigar-

tiges Geschöpft mit unverwechselbaren Eigenschaften

und Fähigkeiten, berufen zu etwas Besonderem? Das

Staunen über so viel Einzigartigkeit kann zu religiösen

Lebenseinstellungen ermutigen.

Misstraue dem Ähnlichen!

Amylose und Cellulose sind Polykondensate der Glucose

mit der empirischen Formel [C

6

H

10

O

5

]

n

und verbrennen

exotherm zu Kohlenstoffdioxid und Wasser. Die beiden

Makromoleküle sind also ähnlich – und doch einzigartig.

Denn ein „kleiner“ strukturchemischer Unterschied in

den Molekülen, die

α

-glykosidische Verknüpfung der

Bausteine in der Amylose bzw. die

β

-glykosidische Ver-

knüpfung in der isomeren Cellulose, hat enorme Kon-

sequenzen: Die Amylose ist wasserlöslich und für uns

Menschen ein wichtiges Nahrungsmittel, welches mit

Vermittlung von Wertebewusstsein im Chemieunterricht

Mutig wissenschaftliche Ergebnisse auch

gegen falsche Behauptungen benennen

Hans-Ludwig Krauß und Volker Wiskamp, Universität Gießen und Fachhochschule Darmstadt

Die Autoren

Prof. Dr. Volker Wiskamp

studierte Chemie an der Universität

Bochum, dem Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mül-

heim-Ruhr sowie an der Universität Berkeley. Danach war er vier

Jahre lang Polymerforscher bei Bayer. Seit 1989 vertritt er an der

Fachhochschule Darmstadt die „Anorganische und Organische

Chemie“ in der Lehre. Sein wissenschaftliches Arbeitsgebiet ist

die Didaktik der Chemie mit den Schwerpunkten Hochbegabten-

förderung, Bildungspartnerschaften Schule/Hochschule/Industrie,

fächerübergreifender Unterricht sowie Experimentieren in Kin-

dergärten und Grundschulen.

Hans-Ludwig Krauss

studierte an der Universität Gießen Che-

mie, Sport und Religion für das Lehramt am Gymnasium in der

Sekundarstufe II. Nach dem zweiten Staatsexamen war er drei

Jahre als Lehrer am Christian-Wirth-Gymnasium in Usingen und

als Ausbildungsbeauftragter für erziehungs- und gesellschaftswis-

senschaftliche Fragen in der Referendarausbildung am Studiense-

minar Frankfurt III tätig. Seit 2003 ist Krauß wissenschaftlicher

Mitarbeiter am Institut für Didaktik der Chemie der Universität

Gießen. Dort arbeitet er an seiner Dissertation, aus der die vorlie-

gende Publikation hervor geht.

Wiskamp