Für einen Großteil der Kollegen fehlt aber der fachlich inhaltliche Schwerpunkt, oder er ist
zumindest viel zu gering dimensioniert. Betrachtet man alleine die Definition der
Naturwissenschaftlichen Kompetenz nach dem europäischen Referenzrahmen, so fällt sofort
auf, dass die nicht fachlichen Kompetenzen einen Großteil der Definition beinhalten,
während die fachlichen Kompetenzen nur am Rande erwähnt werden.
Besonders irritierend ist die Tatsache, dass jede Schule für sich ein Kerncurriculum
entwickeln soll, das einen Minimalkatalog der Kompetenzen aufführt. In der Praxis läuft das
darauf hinaus, dass die Kollegen die alten Kursstrukturpläne oder bewährte Schulbücher als
Grundlage nehmen und nur geringfügig abändern. Andere Vorgehensweisen wären auch
sehr gefährlich, weil sonst die Gefahr besteht, dass Inhalte, die für einheitliche
Abschlussprüfungen wie das Landesabitur benötigt werden, nicht behandelt würden.
Ebenfalls problematisch kann ein Schulwechsel sein. Man stelle sich vor, ein Schüler
wechselt die Schule und wird mit einem anderen Schulcurriculum konfrontiert. Der Schüler
bekommt Probleme, für deren Entstehung er nicht verantwortlich ist.
Viele Kollegen fühlen sich allein gelassen, weil sie einerseits die Einführung der
Kompetenzen als Kritik an ihrem Unterricht bewerten, sie andererseits aber bei den
wichtigen inhaltlichen Fragen wenig Unterstützung bekommen.
Ein Kollege, der behauptet, dass er vor lauter Bewerten, kritisch reflektieren und beurteilen
keine Zeit hat, die fachlichen Inhalte zu behandeln, hat sicher den Sinn und Inhalt der
Kompetenzen aus den Bildungsstandards nicht voll erkannt, aber man sollte einen
naturwissenschaftlichen Lehrer, der einen Schwerpunkt auf die fachlichen Inhalte legt, nicht
gleich als veraltet oder eingerostet darstellen, schließlich bilden die Inhalte die
Voraussetzung zum Bewerten und Einordnen.
In seinem Artikel: „Liegt der halb richtig, bei dem 2 +2 =5 ergibt?“ erläutert Hans Peter
Klein
das Problem. Er geht auf die Kerncurricula ein und fragt: Wenn jetzt jede Schule die
Inhalte der einzelnen Fächer selbst bestimmen kann: Was ist da noch Standard? Und was ist
vergleichbar? Klein berichtet von einer Studie, nach der Schüler aus Nordrhein-Westfalen
aus der Jahrgangsstufe 9 eine Abiturleistungskursarbeit in Biologie ohne jegliche inhaltliche
Vorbereitung geschrieben haben und zwei Drittel der Schüler bestanden hat, sogar einer mit
einer Eins. In der Kontrolle haben die Schüler einen älteren Abiturvorschlag bearbeitet. Hier
konnte keiner der Neuntklässler ein positives Ergebnis erzielen, wie es für einen Schüler
dieser Jahrgangsstufe zu erwarten war.
Klein erklärt dies, indem er erläutert, dass die Kompetenzen der neuen Abituraufgaben zu
wenig Fachwissen fordern und die anderen Inhalte so auch ohne fundierten Hintergrund
geleistet werden können. Viele Aufgabenstellungen beginnen mit: Fasse den Text
zusammen…, oder beurteile. Solche Fragestellungen können teilweise ohne Fachwissen
beantwortet werden.
Sicher ist der Artikel von Klein sehr eindimensional auf das Fachwissen zentriert, aber ist es
nicht vorrangig das Fachwissen, was in den Naturwissenschaften vermittelt werden soll?
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Klein, Hans Peter: „Liegt der halb richtig, bei dem 2 +2 =5 ergibt?“, Frankfurter Rundschau, 26.06.2010