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CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 60. Jahrgang, Heft 05/2009
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AUFSÄTZE
So wie im Sport „höher – weiter – schneller“ of-
fensichtlich ohne unerlaubte Hilfsmittel kaum noch
realisierbar ist, bahnt sich auch im Arbeitsleben an,
dass Spitzenleistungen besondere „Muntermacher“
erfordern, die effektiver wirken als der gesellschaft-
lich akzeptierte Kaffee.
Bevor wir anfangen, „Brave New World Revisited“
zu schreiben und ein Weltbild zu entwerfen, in dem
die Forscher nicht mehr dem Humboldtschen Ideal an-
hängen, sondern Rivalen im Kampf um Ruhm und Eh-
re sind, in dem der Studienkommilitone kein solcher,
sondern lediglich ein Konkurrent um den zukünftig
raren Arbeitsplatz und in dem der Arbeitskollege
kein Partner im Team ist, sondern abgehängt und als
erster in die Arbeitslosigkeit geschickt werden muss,
möchten wir Vorschläge unterbreiten, wie das The-
ma Hirn-Doping in den Chemieunterricht integriert
werden kann, um dort mit jungen Erwachsen den
Wahnsinn einer sich selbst beschleunigenden Zeit zu
reflektieren, sie davor zu schützen und ihnen einfach
als Mentor zur Verfügung zu stehen.
Vier relativ oft zweckentfremdet verwendete phar-
mazeutische Wirkstoffe werden im Folgenden mit
ihren Formeln (Abbildung 1), Wirkungsweisen und
zwei ausgewählten Synthesen vorgestellt.
Methylphenidat
Recht häufig wird das Arzneimittel Methylphenidat
(zur Synthese siehe Abbildung 2), das vor allem unter
dem Markennamen Ritalin bekannt ist, missbraucht.
Therapeutisch findet es insbesondere Anwendung
bei der Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstö-
rung (ADHS). Es gibt schwache Hinweise darauf, dass
Methylphenidat bei nicht kranken Menschen deren
Wachheit und Konzentrationsfähigkeit fördert und in
hoher Dosierung auch euphorisierend wirkt. Dies mag
für manchen Schüler oder Studenten, der in kurzer
Zeit eine riesige Stoffmenge für eine Klausur lernen
muss, attraktiv sein. Methylphenidat ist wie die Neu-
rotransmitter Dopamin und Noradrenalin (Abbildung
3) ein Derivat des 1-Amino-2-Phenylethans (zur Dis-
kussion von Leitstrukturen siehe [7]) und bewirkt,
dass diese länger im synaptischen Spalt – dessen
Funktionsweise wird erklärt, sofern sie nicht schon
aus dem Biologieunterricht bekannt ist – zwischen
den einzelnen Nervenzellen verbleiben und es so zu
vermehrten Signalsendungen, also höherer Hirnakti-
vität, kommt.
Modafinil
Das zweite zum Hirn-Doping gerne missbrauchte Me-
dikament ist Modafinil (zur Synthese siehe Abbildung
4), welches regulär gegen zwanghafte Schlafanfälle
eingesetzt wird. Es steigert Wachheit und Aufmerk-
samkeit, weil es ähnlich wie Methylphenidat die Ent-
fernung von Noradrenalin auf dem synaptischen Spalt
verlangsamt. (Im Sport steht Modafinil auf der Liste
der verbotenen Substanzen. Eine prominente Doping-
Sünderin war die Sprint-Weltmeisterin Kelli White.)
Fluoxetin
Da sich in Schule, Studium und Beruf gestresste Men-
schen oft unglücklich fühlen, sind sie leicht versucht,
Antidepressiva wie Fluoxetin, eher unter den Han-
delsnamen Prozac oder Fluctin bekannt, zu nehmen.
Das sind Stoffe, die verhindern, dass die Wirkung von
Serotonin (Abbildung 3), dem so genannten Glücks-
hormon, zu rasch nachlässt.
Abbildung 4: Schema zur Synthese von Modafinil [9].
Abbildung 2: Schema zur Synthese von Methylphenidat [8].
Abbildung 3: Strukturformeln der Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin und
Serotonin sowie ihre Leitstruktur.